Wie kann digitale Beteiligung inklusiv gestaltet werden?
Ein beträchtliches Problem, das die informelle Partizipation ausmacht, ist, dass es sich als sehr schwierig heraus gestellt hat, Bürger*innen aus allen Gesellschaftsschichten und Kulturen zu mobilisieren und in den Beteiligungsprozess zu integrieren. Viele der bereits existierenden Partizipationsmethoden aktivieren hauptsächlich Personen aus der Mittelschicht (vgl. Busch 2009, S. 98, zit. Bogumil/ Holtkamp 2003 S.10). Die Ursachen dafür sind nicht allein in den Methoden der Partizipation zu suchen; die Lust zur Beteiligung ist ebenso wichtig (Busch 2009, S. 98; zit. n. Niedermayer 2001 Kap. 2.5). In den folgenden Abschnitten sollen vier grundsätzliche Gründe, die zur Nicht-Beteiligung führen, genauer betrachtet werden.
Misstrauen
Wird nach den Gründen für Nicht-Beteiligung aus einer akteurszentrierten Sicht gesucht, wird oft der Verlust von Vertrauen genannt. Auch in der Literatur finden sich Erklärungsansätze, die sich um Erklärungen und Lösungen für diesen Grund der Nicht-Beteiligung bemühen (vgl. Rohr et al 2017, S.42). Dass dem Planungsprozess oder den Planungsverantwortlichen nicht vertraut wird, kann viele individuelle Gründe haben. Schlechte persönliche Erfahrungen in anderen Beteiligungsprozessen oder schlechte Erfahrungen des Umfeldes können die Entscheidung zur Beteiligung beeinflussen (vgl. Nanz & Fritsche, 2012, S.131).
Wenn beispielsweise in einem früheren Partizipationsverfahren die Erfahrung gemacht wurde, dass die eigene Stimme nicht berücksichtigt wird, entsteht eine Hürde, die der Wiederteilnahme im Weg steht (vgl. Rohr/Ehlert/Möller 2017, S.43). Oft entsteht dieses Gefühl dadurch, dass zwischen der Beteiligung und der Umsetzung eines Projekts zuviel Zeit vergeht und Entscheidungen, die aus den Ergebnissen der Bürgerbeteiligung resultieren, nicht offen kommuniziert werden. Besonders bei Gruppen, die vom Staat ohnehin keine bis wenig Unterstützung bekommen, wie Arbeitssuchende und Menschen mit Behinderungen, ist Vertrauensverlust ein häufiger Grund für Nicht-Beteiligung.
Dabei spielt es zunächst keine Rolle, ob es sich um analoge oder digitale Partizipationsmethoden handelt. Digitale Bürgerbeteiligung kann jedoch einige Gründe für den Vertrauensverlust aufheben. Die digitale Bürgerbeteiligung kann länger durchgeführt werden als analoge Beteiligung. Durch Newsletter oder Blogeinträge auf der Projektwebsite können die Bürger*innen immer auf den neusten Stand gehalten werden. Außerdem können die Ergebnisse von digitaler Bürgerbeteiligung umfangreicher und besser nachvollziehbar Interessierten zur Verfügung gestellt werden.
Technische Gründe
Nicht immer ist der Grund für Nicht-Beteiligung „weil sie nicht wollen“. Genauso oft ist es die Begründung „weil sie nicht können“. Die Bürger:innen können nicht partizipieren, da es ihnen an der Möglichkeit zur Teilnahme fehlt. Es sind fehlende Kapazitäten im Alltag oder ein Mangel an Ressourcen, die zur Nicht-Beteiligung führen. Fehlende Kapazitäten können sowohl von Teilnehmer:innen wie von Planer:innen ausgehen. Teilnehmer:innen, die berufstätig sind, fehlt es möglicherweise an Zeit, um nach der Arbeit am Beteiligungsformat mitzuwirken. Alleinerziehende mit Kleinkindern können ebenfalls nicht ohne organisatorischen Aufwand für mehrere Stunden an einem Format außer Haus teilnehmen.
Für Planer:innen kann die Wahl von digitalen Beteiligungsformaten von Vorteil sein. Sie können die Gruppengröße, die bei analogen Methoden oft begrenzt ist, erweitern oder eben ganz neue Zielgruppen erreichen. Ist es ein Ziel der Bürgerbeteiligung, diese oder ähnliche Gruppen anzusprechen, sollten digitale Partizipationsmethoden gewählt werden. Durch sie können die Formate zeitlich flexibel angeboten werden. Die Teilnehmer:innen, die möchten, können sich so im Rahmen ihrer eigenen Möglichkeiten einbringen und mitmachen, ohne vor Ort zu sein.
Körperliche Gründe
Wenn es bei Beteiligungsverfahren darum geht, weshalb manche Gruppen sich nicht beteiligen, wird häufig der Punkt der körperlichen Einschränkungen hinsichtlich des Stichwortes der Barrierefreiheit genannt. Um diese Hürde bei analogen Veranstaltungen so niedrig wie möglich zu halten, gibt es zahlreiche Bauvorschriften und Regeln, wie der öffentliche Raum zu gestalten ist. Dort ist die Rede von der „Teilnahme am kulturellen, politischen und öffentlichen Leben“, worunter Beteiligungsverfahren fallen (vgl. Angela Veccari-Kruse 2021). Was kann nun die veranstaltende Partei tun, um die Schwelle weiter zu senken?
Wichtig ist nicht nur, wie Personen zur Veranstaltung kommen, sondern auch, wie diese wahrgenommen wird. Gibt es zum Beispiel Texte in ausreichender Schriftgröße, wird das was geschrieben steht auch vorgelesen bzw. wiedergegeben? Sind Sanitäranlagen, Arbeitsmittel oder das Buffet barrierefrei erreichbar? All diese Fragen müssen geklärt werden bei der Wahl des Veranstaltungsortes, der Präsentationsart und des Verlaufes der Beteiligung. Wie beteiligt wird, wird umso wichtiger, wenn es um digitale Beteiligung geht - hier fallen eventuelle Fragen häufig unter den Tisch, es gibt meist keine weiteren Erläuterungen und Personen mit Einschränkungen der Augen bekommen häufig Probleme beim Verständnis oder werden gar orientierungslos (vgl. LVR-Fachbereich Kinder und Familie 2018).
Sprachliche Gründe
Grade bei der Beteiligung von Minderheiten und Minderjährigen sind häufig Sprachprobleme ein Grund, warum Programme und Initiativen nicht die erwünschte Wirkung zeigen. Das berühmte „Bürokratendeutsch“ bzw. die Verwaltungssprache schreckt oftmals schon eine Großzahl potenziell Interessierter ab. Gerade bei Menschen, welche die deutsche Sprache erst noch erlernen, sorgt dies für Unverständnis und Unklarheiten (vgl. Kampf dem Amtsdeutsch 2008).
Zudem bringt es eine so spezifische Sprache mit sich, dass sich Teilnehmende nicht angesprochen fühlen, da eine förmliche Formulierung wenig einladend wirkt und es so scheinen kann, dass ein gewisses Grundwissen vorhanden sein muss, um teilnehmen zu können. So wird deutlich, dass die „korrekte“ Formulierung eventuell nicht immer zielführend ist sowie dass eine bildlichere und simplere Formulierungsweise eine breite Personengruppe erreichen kann und die Beteiligung zugänglicher macht.
Sonstige Gründe
Es gibt noch viele weitere Gründe, wieso sich Personen nicht beteiligen. Das Spektrum reicht dabei von banalen Faktoren wie Pendeln, fehlende Zeit/Motivation oder vielbeschäftigt zu sein bis hin zu Glaubensgemeinschaften, die sich ausgeschlossen fühlen, Menschen ohne festen Wohnsitz odergeflüchtete Menschen.
Gründe für eine schwere Erreichbarkeit (eigene Darstellung)
Quellen:
Alcántra,S., Kuhn, R., Renn, O., et al. (2014): DELIKAT - Fachdialoge Deliberative Demokratie -Analyse Partizipativer Verfahren für den Transformationsprozesse, Dessau-Roßlau,
Umweltbundesamt. Online verfügbar unter https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/378/publikationen/texte_31_2014_delikat-fachdialoge_deliberative_demokratie.pdf [Zugriff 14.05.2021]
Angela Veccari-Kruse (2021): Barrierefreiheit im Bauwesen. Novelle der BauO NRW. Online verfügbar unter https://www.figo-gmbh.de/shopdesign/posts/barrierefreiheit-im-bauwesen---novelle-der-bauo-nrw-33.php, zuletzt aktualisiert am 31.05.2021, zuletzt geprüft am 31.05.2021.
Busch, Lüder (2009): Bürgerbeteiligung in der städtebaulichen Planung - das Beispiel der kreisangehörigen Städte Schleswig-Holsteins. Dissertation am Department für Stadtplanung HafenCityUniversität Hamburg. Online verfügbar unter https://www.hcu-hamburg.de/fileadmin/documents/IMZ/Veroeffentlichungen/Dissertationen/Lueder_Busch_Dissertation.pdf
[Zugriff 30.01.20]
Interpart (o.J.): Digitale Beteiligung: Weit verbreitet, aber kein Problemlöser „auf Knopfdruck“ . Online verfügbar unterhttps://www.interpart.org/digitale-beteiligung-weit-verbreitet-aber-kein-problemloeser-aufknopfdruck [Zugriff: 15.05.2021]
Kampf dem Amtsdeutsch (2008). In: Frankfurter Rundschau, 05.08.2008. Online verfügbar unter https://www.fr.de/wissen/kampf-amtsdeutsch-11563687.html, zuletzt geprüft am 31.05.2021.
LVR-Fachbereich Kinder und Familie (2018): BETEILIGUNG, MITBESTIMMUNG & BESCHWERDE VON KINDERN. Empfehlungen zur Konzeptionsentwicklung in Kindertageseinrichtungen. Hg. v. LVR – Landschaftsverband Rheinland. Köln. Online verfügbar unter https://www.lvr.de/media/wwwlvrde/jugend/kinderundfamilien/tageseinrichtungenfrkinder/dokumente_88/18_3701_inhalt_broschuere_partizipation-zusammen.pdf.
Nanz, P. & Fritsche, M. (2012): Handbuch Bürgerbeteiligung, Bonn, Bundeszentrale für politische Bildung.
Rohr, J., Ehlert, H., Möller, B., et al. (2017): Impulse zur Bürgerbeteiligung vor allem unter Inklusionsaspekten – empirische Befragungen, dialogische Auswertungen, Synthese praxistauglicher Empfehlungen zu Beteiligungsprozessen, Dessau-Roßlau, Umweltbundesamt.. Online verfügbar unter https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/1410/publikationen/2017-05-08_texte_36-2017_impulse-buergerbeteiligung_0.pdf [Zugriff 10.05.2021]
Selle, Klaus (2011) "Particitainment" oder: Beteiligen wir uns zu Tode? PNDonline.. Online verfügbar unterhttps://publications.rwth-aachen.de/record/140376/files/2011_selle_particitainment.pdf [Zugriff 14.05.2021]